„Krawallnacht“-Verfahren – Bericht vom 1. Verhandlungstag

Heute startete der erste Berufungsprozess am Landgericht Stuttgart aufgrund der Beteiligung an der Stuttgarter Krawallnacht. Um 8 Uhr morgens versammelten sich circa 40 solidarische Prozessbegleiter:innen vor dem Gebäude. Gestartet ist der Morgen mit einer Kundgebung der Kampagne „Krawallnacht bleibt legitim“, die die Hintergründe und Ursachen der Nacht thematisierte und verdeutlichte, dass die Krawallnacht einen durchgehend politischen Charakter hat. Die Riots im ersten Coronasommer 2020, die nicht nur in Stuttgart, sondern auch in anderen Städten stattfanden, waren ein Ausdruck der Wut auf die herrschende soziale Ungerechtigkeit.

Zeitgleich zu dem Prozess rund um die Krawallnacht am Landgericht, fand auch ein zweiter Prozess gegen vier linke Aktivist:innen statt. Angeklagt sind vier Antimilitarist:innen wegen einer Aktion am sogenannten „Volkstrauertag“. (siehe Aufruf)

Prozessbeginn und erste Hälfte

Der Prozess startete pünktlich um 09:00, mit circa 30 solidarischen Prozessbeobachter:innen. Zu Beginn wurde von der Richterin Hümbs die Anklageschrift verlesen.

Wie bereits vor dem Amtsgericht, wurden eine Reihe an Zeug:innen vernommen.

Auch dieses Mal begann der Prozess mit dem Zeigen eines knapp elfminütigen Videozusammenschnitts der Stuttgarter Krawallnacht, das einzig und allein der Stimmungsmache innerhalb des Prozesses diente und keinerlei Bezug zum Angeklagten hatte, und der Vernehmung des Kriminalhauptkommissars Heinemann, der die Ermittlungsgruppe (EG) Eckensee geleitet hat. Wie vor dem Amtsgericht konnte er keinerlei Angaben zu dem Angeklagten und seiner angeblichen Beteiligung an der Stuttgarter Krawallnacht machen, sondern nur schildern wie die Nacht chronologisch ablief. Seiner Meinung nach war die Stimmung in der Stuttgarter Innenstadt in den Wochen davor schon relativ aufgeladen, angeblich wegen der aus den USA kommenden Black Lives Matter Protesten.

Als nächstes sagte Kriminalhauptkommissarin John aus. Sie wurde wenige Tage nach der Gründung der EG Eckensee in diese aufgenommen. Ihre Aufgabe bestand darin, sämtliche Hinweise auf eine Beteiligung linker Aktivist:innen aus Stuttgart aufzuzeigen und nachzugehen. Alle Videos, die auf eine angebliche linke Beteiligung hindeuteten, wurden von ihr ausgewertet und sortiert und Personen aus der Linken Szene zugeordnet – woher die Vorauswahl der Personen stammt und warum entsprechende Personen in der Auswahl gelandet sind bleibt ungeklärt. Im Anschluss hat sie jede Person kategorisiert und anschließend der Polizeioberkommissarin Fiedler, Sachbearbeiterin der EG Eckensee, übergeben.

Als dritter wurde der mittlerweile Polizeioberkommissar in Aalen Hommel, damals in der Bereitschaftspolizei Göppingen aktiv, befragt. Er war in der Nacht von Anfang an dabei, weil er und seine Einheit als Sicherheitsunterstützung während der Coronazeit regelmäßig in der Stuttgarter Innenstadt eingesetzt waren. Er schilderte seine Eindrücke der Nacht und die angebliche Beteiligung von Linksextremisten. Auf die Frage hin, ob er diese Information von sich aus an die EG Eckensee geschrieben hat oder dazu befragt wurde, antwortete er, dass es eine Anfrage per Mail an seine Einheit gab. Darin wurde explizit nach der Beteiligung linker Aktivist:innen an den Ausschreitungen gefragt, was den suggestiven Charakter dieser Ermittlungen nochmals deutlich machte. Auch hier blieb unklar, von wem genau diese Anfrage ausging. In seiner Antwort nannte er das Lied „Bella Ciao“ gehört zu haben und Würfe mit roten Farbbeuteln beobachtet zu haben. Außerdem erwähnte er ein organisierteres Auftreten der Beteiligten ab einem gewissen Zeitpunkt, was den Ermittlern wohl gereicht hat, um die gezielte Suche nach linken Aktivist:innen in der Nacht nochmals zu verstärken.

Kurz vor der Mittagspause bat der Staatsanwalt, das T-Shirt des Angeklagten mit der Aufschrift “Mob Action” zu Protokoll nehmen zu lassen, da es sich seiner Meinung nach in der Krawallnacht auch um einen “Mob” gehandelt hat. Nach einem Einwand der Strafverteidigerin und die Aufforderung, dann wenigstens einen Antrag zu formulieren, ruderte der Staatsanwalt zurück und es ging in die Mittagspause.

Zweite Hälfte

Direkt nach der Pause, wurde von der Verteidigerin des Angeklagten ein Antrag und Widerspruch zu den herbeigezogenen Tesla Aufnahmen vorgelegt und verlesen.

Zum Hintergrund: Ein Video aus der Anklage stammt aus der Überwachungskamera eines Tesla-Autos. Befinden sich diese im sog. „Wächter-Modus“ geparkt, zeichnen sie automatisch ihre Umgebung auf – gleichwohl dies in Deutschland aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben unzulässig ist und beim Kauf darauf hingewiesen wird.

Anschließend wurde Polizeikommissarin Fiedler vernommen. Sie übernahm nach dem Austreten der Hauptkommissarin John die Ermittlungen zur Beteiligung linker Aktivist:innen und die weiteren Auswertungen von Videos und Indizien. Anschließend legte sie sämtliche angeblich beteiligten Linken und die Auswertungen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vor. In enger Absprache wurde beschlossen, welche Personen weiterhin als Angeklagte geführt werden und wer „nur“ als Zeug:in geführt werden sollte.

Im Anschluss wurden gemeinsam mit der Polizeikommissarin Fiedler die Videos – oft jedoch eher verwackelte Videofetzen – die zur angeblichen Identifizierung beigetragen haben sollen angesehen, und Video für Video ausgewertet.

Danach wurden die Schadensprotokolle der Schäden verlesen, die in der Nacht durch den Angeklagten entstanden sein sollen. Abschließend fand die Lichtbildmappensichtung statt.

Kurz vor Ende des Prozesses teilte die Richterin allen Verfahrensbeteiligten eine Prozesserklärung des Angeklagten aus, die er im Zuge eines Verfahrens im Jahr 2020 zu den Demonstrationen im Kontext des türkischen Angriffskriegs in Rojava 2019 verlesen hat, und gab sie allen als Lesestoff mit.

Der nächste Prozesstermin findet am 19.09., die Urteilsverkündung am 28.09. statt. Die Prozessbegleitung am 19.09. beginnt ab 8.30 Uhr vor dem Landgericht.

Zur Urteilsverkündung wird eine Kundgebung ab 8 Uhr, ebenfalls vor dem Landgericht stattfinden.

Die Prozessbegleitung der Berufungsverhandlung der weiteren beschuldigten Genossin findet am 27.09. ab 8:00 Uhr ebenfalls vor dem Landgericht Stuttgart statt.

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