Krawallnacht – weil‘s uns angeht! – Aufruf zur Prozessbegleitung

Kommt zu den Prozessen:

#1 -> 29.09.22 & 18.10.22

#2 -> 19.10.22 & 24.10.22

#3 -> 17.01.23 & 24.01.23

jeweils 8 Uhr Amtsgericht Stuttgart (Beginn um 9 Uhr)


Die sog. „Stuttgarter Krawallnacht“ vom Juni 2020 ist mittlerweile über zwei Jahre her und die Folgen mittlerweile schon wieder weniger präsent: die militärische Besetzung der Innenstadt in den folgenden Wochen – inklusive Aufenthaltsverboten, rassistische Stimmungsmache und „Stammbaumforschung“ bei vermeintlichen Beschuldigten, eine Feindjustiz und horrende Strafen gegen alle, die der Staat in die Finger bekommen hat – vorgeführt barfuß, in Hand- und Fußfesseln und mit sog. „Spuckhaube“ über dem Kopf.

Befeuert wurde das ganze tatkräftig aus der Politik. Der damalige Bundesinnenminister Seehofer trat am Tag danach gemeinsam mit dem baden-württembergischen Innenminister Strobl als Hardliner auf, die für Sicherheit und Ordnung sorgen werden. Hierzu wurde extra ein zerstörtes Polizeiauto in die aufgeräumte Innenstadt gestellt, damit beide sich vor der Presse in Szene setzen können.

In der Ermittlungsgruppe (EG) „Eckensee“ ermittelten über 100 Beamt:innen in den folgenden Wochen. Es wurden über 125 Jahre Haft ausgesprochen, davon allein 50 Jahre ohne Bewährung; mit dem neuen Sicherheitskonzept planen Polizei, Stadt und Land die absolute Befriedung der Innenstadt – von integrativen Angeboten bis hin zur Kameraüberwachung, Waffenverbotszone – diese soll willkürliche Kontrollen legitimieren – und dem massiven Besetzen der Innenstadt durch Polizeikräfte am Wochenende.

Bereits am Tag nach der „Krawallnacht“ sah Strobl einen weiteren Feind neben der „Party- & Eventszene“: Linke, die in der Stadt sowieso präsent und aktiv sind und auch kräftig bei der „Krawallnacht“ mitgemischt haben sollen. Zwar ruderte er öffentlich wieder etwas zurück, hinter den Kulissen wurde jedoch mit Nachdruck ermittelt und verfolgt. Es fand eine Funkzellenabfrage statt, einzig mit dem Ziel, über Nummern von bekannten Linken deren Beteiligung an den Krawallen zu konstruieren. Eine eigene Sondergruppe innerhalb der „EG Eckensee“ verfolgte ausschließlich Linke und schlussendlich wurde die gesamte „EG Eckensee“ dem Staatsschutz, der politischen Polizei, untergeordnet. Es folgten Ende März 2022 drei Hausdurchsuchungen bei linken Aktivist:innen, denen nun der Prozess gemacht wird.

soziale Widersprüche vertiefen, Verantwortung übernehmen & Solidarität zeigen!

Hinter der „Krawallnacht“ liegen die sozialen Widersprüche einer kapitalistischen Gesellschaft: sei es die Frage nach sozialer & kultureller Teilhabe, sei es rassistische Unterdrückung, Polizei-Kontrollen und Schikanen – die in der Innenstadt Alltag sind. Sei es die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum, die all jene trifft, die nicht dem Saubermann-Image der Stadt entsprechen und nicht der Kapitalverwertung und dem Konsum dienen.

All diese Widersprüche wurden durch den Lockdown, der im Sommer 2020 immer noch anhielt, weiter verschärft. Noch immer galten Kontaktbeschränkungen, Kinos, Clubs, Jugendhäuser und Co. waren geschlossen. Während die einen sich dann eben im großen Garten des Eigenheims auf dem Killesberg mit ihren Freund:innen traffen, zog es all jene, die sich das nicht leisten können, die in beengten Verhältnissen leben oder sonst schlicht keinen anderen Ort haben in die Innenstadt; zum Eckensee und auf den Schlossplatz.

Der öffentliche Raum ist gleichzeitig immer auch ein umkämpfter Ort. Trotz sozialer Medien und Internet ist er noch immer der Ort gesellschaftlicher Entwicklungen und Dynamik. Seine Kontrolle ist damit immer auch von strategischem Interesse für die Herrschenden.

Als Linke müssen uns diese Widersprüche hinter der „Krawallnacht“ etwas angehen. Sie betreffen große Teile der Gesellschaft und sind der Ausgangspunkt hinter der Veränderung, die wir hin zu einer fortschrittlichen Gesellschaft brauchen. Das bedeutet, sich nicht an der (Zerstörungs-) Wut, Plünderungen oder Einzelheiten aufzuhängen, sondern gerade hier aktiv zu werden, diese sozialen Missstände zu thematisieren und zu politisieren. So kann die berechtigte Wut der Menschen über erfahrene Ausbeutung und Unterdrückung in gesellschaftliche Veränderung gelenkt werden. Sind wir als Linke hier nicht anzutreffen und übernehmen diese Verantwortung nicht, lenkt der Staat diese Wut wieder in kontrollierbare Bahnen, verpufft sie ergebnislos oder Rechte machen sie sich zu eigen.

Mit steigenden Preisen und immer spürbareren Einschnitten für große Teile der Bevölkerung verschärfen sich Krisenentwicklungen des Kapitalismus weiter. Auch das Vertrauen in den Staat sinkt. Das verstärkt nur das Potential für grundlegende gesellschaftliche Veränderung, die für kapitalistische Herrschaft und ihren Staat eine Gefahr darstellt. So nimmt er es auch wahr und geht gerade deshalb mit entsprechender Härte vor. Die Verfolgung, die harten Strafen und Feindjustiz im Nachgang des Kontrollverlustes der „Krawallnacht“ sind daher kein Zufall, sondern Programm.

Dies wird den Angeklagten Aktivist:innen vorgeworfen: sie sollen in der „Krawallnacht“ vor Ort gewesen sein und sich aktiv beteiligt haben. Stellvertretend werden sie für eine Linke angeklagt, die sich zu sozialen Widersprüchen aktiv in ein Verhältnis setzt und sich nicht von den Leuten und der Realität ihrer Unterdrückung distanziert.

Daher gehen uns auch die kommenden Prozesse etwas an und es gilt, Solidarität zu zeigen und die Angeklagten nicht alleine vor Gericht zu lassen.

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