Am 21. Januar 2020 fand am Amtsgericht Kandel erneut ein Prozess gegen eine aktive Antifaschistin statt. Ihr wurde vorgeworfen, sich am 24. März 2018 in Kandel den kämpferischen Antifa-Protesten gegen den rechten Großaufmarsch angeschlossen zu haben und dort an einer Böllerwurf-Aktion beteiligt gewesen zu sein. Die Anklage Am 21. Januar 2020 fand am Amtsgericht Kandel erneut ein Prozess gegen eine aktive Antifaschistin statt. Ihr wurde vorgeworfen, sich am 24. März 2018 in Kandel den kämpferischen Antifa-Protesten gegen den rechten Großaufmarsch angeschlossen zu haben und dort an einer Böllerwurf-Aktion beteiligt gewesen zu sein. Die Anklage lautete Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, versuchte gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Bei einer Verurteilung nach diesen Anklagepunkten drohte ihr aufgrund einschlägiger Vorstrafen eine Haftstrafe ohne Bewährung – doch daraus sollte heute nichts werden.
Die Prozesserklärung der Genossin, findet ihr weiter unten.
Um die 30 AntifaschistInnen fanden sich am frühen Morgen bei Kaffee und Brezeln zur Unterstützung der Angeklagten ein, viele von ihnen trugen zum Ausdruck ihrer Solidarität T-Shirts und Pullover mit antifaschistischem Aufdruck und klarer Message.
Über mehrere Stunden sollte sich die Beweisaufnahme vor Gericht ziehen, doch trotz der Aussagen von 6 Bullen und einem Video von den Böllerwürfen, das mehrmals Bild für Bild in Augenschein genommen wurde, konnten keine handfesten Beweise zu Tage gebracht werden. Offenkundig wurde lediglich, das hinlänglich Bekannte:
Die Anklage gegen die Antifaschistin basiert komplett auf konstruierten Vorwürfen und ist ein Angriff auf selbstbestimmten antifaschistischen Protest und Widerstand. Begreifen können wir dies nur als Teil einer Kriminalisierungsstrategie und dem Verfolgungseifer seitens Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die gesamte linke Bewegung.
Nach einigem hin und her, wobei auch noch das von den G20-Verfahren bekannte und seitens der Repressionsbehörden beliebte Konstrukt der „psychischen Beihilfe“ diskutiert wurde, ist das Verfahren am Ende eingestellt worden. Durch die politische Prozessführung, die konsequente Aussageverweigerung vor Gericht und die Einbettung des Verfahrens in unsere Kampagnenarbeit haben wir es geschaft den Angriff auf unsere Bewegung ins Leere laufen zu lassen.
Nachfolgend dokumentieren wir die Erklärung der Angeklagten:
Prozesserklärung
09. September 2000 bis 25. April 2007: Der „Nationalsozialistische Untergrund“, kurz NSU, ermordet mindestens 10 Menschen. Zuvor und während dieses Zeitraums verübten die Nazis mehrere Sprengstoffanschläge und ein Nagelbombenattentat. Das Alles geschah unter den Augen des Verfassungsschutzes und unter Mithilfe seiner V-Leute.
Am 22. Juli 2011 ermordet der norwegische Faschist Anders Breivik insgesamt 77 Menschen, indem er in Oslo eine Autobombe zündet und anschließend auf einer nahe gelegenen Insel das Feriencamp einer sozialdemokratischen Jugendorganisation niedermetzelt. Zuvor hatte er auf 1500 Seiten sein rechtes Motiv für das Attentat dargelegt.
Am 12. August 2017 rast ein 20-jähriger Nazi im Anschluss an eine der größten rechten Demonstrationen in der Geschichte der USA bewusst mit seinem Auto in eine Gruppe von Antifaschistinnen und Antifaschisten. Er tötet dabei eine 32-jährige Frau und verletzt 19 weitere Menschen.
Am 15. März 2019 erschießt der Faschist Brenton Tarrant in Christchurch in Neuseeland insgesamt 51 Menschen. Er feuert dabei in zwei Moscheen, in denen sich Muslime zum Gebet versammelt hatten. Er überträgt seine Tat live ins Internet und will mit einer Zitat „großen, bis dahin nicht in Neuseeland vorgekommenen Gewalttat zeigen, dass es nirgendwo in der westlichen Welt sicher für Einwanderer ist.“Zitatende
Auch er verfasst ein rechtes Pamphlet, in dem er sich unter anderem auf Anders Breivik bezieht und stellt darin seine faschistische Gesinnung dar. Sein jüngstes Opfer ist drei Jahre alt.
Am 02. Juni 2019 wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke auf seiner Terasse mit einem Kopfschuss von dem Nazi Stephan Ernst ermordet. Lübke hatte sich zuvor für die Aufnahme von geflüchteten Menschen eingesetzt und sich öffentlich rechten Anfeindungen entgegengestellt. Der ehemalige NPDler und jetzige AfD-Unterstützer hatte in den 30 Jahren zuvor bereits einen Menschen getötet und mindestens einen Messerangriff, einen Brandanschlag und ein Bombenattentat verübt.
9. Oktober 2019 in Halle: Der 27-jährige Faschist Stephan Balliet erschießt auf offener Straße zwei Menschen, nachdem er zuvor erfolglos versucht hatte, in eine zahlreich besuchte Synagoge einzudringen und ein Massaker anzurichten. Auch er übertrug seine Tat live im Internet, leugnet in dem Video den Holocaust, äußert sich antifeministisch und sagt, der „Jude“ sei Ursache aller Probleme.
Hiermit sind sicherlich nur wenige der offensichtlichsten Beispiele faschistischen Terrors der letzten Jahre genannt, neben den hunderten Brandanschlägen, die in den letzten Jahren gegen Geflüchtetenunterkünfte verübt wurden. Und sie verdeutlichen doch eines: Die Gefahr, die von Faschisten ausgeht, die Bereitschaft von ihnen zu morden und auch deren tatsächliche Umsetzung.
Was anderes bleibt uns übrig, als uns Nazis und Rechten dort, wo sie auftreten, entgegenzustellen und daran zu hindern, ihre Ideologie in Taten umzusetzen?
Der Mord einer jungen Frau Ende 2017 wurde von zahlreichen Rechten zum Anlass genommen, zu Tausenden hier in Kandel aufzumarschieren. Diese Aufmärsche hatten sowohl zahlenmäßig, als auch hinsichtlich der verschiedenen rechten Spektren, die sich auf Kandels Straßen vereinigten, eine neue Qualität. Nur wenige Monate später erlebten wir Ähnliches in Chemnitz. Hier in Kandel, wie auch in Chemnitz waren es unter anderem Faschisten wie Stephan Ernst, die marodierend durch die Straßen zogen. Es sind unter anderem diese rechten Aufmärsche, auf denen sich die Nazis vernetzen und radikalisieren, auf denen sie propagieren, was später in die Tat umgesetzt wird.
Umso wichtiger war und ist es, dass diese Ereignisse und das Auftreten der Faschisten nicht unbeantwortet blieben und sich innerhalb kürzester Zeit antifaschistischer Protest formierte.
Was folgte, waren Wochen und Monate mit wiederkehrenden Großaufmärschen der Rechten.
Doch nicht nur das: Die Polizei stellte in Kandel immer wieder unter Beweis, dass ihr die Kriminalisierung antifaschistischen Protests nicht nur eine Herzensangelegenheit ist, sondern auch System hat: Angriffe gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten, sei es durch prügelnde Polizisten oder Polizeihunde, bis hin zur Unterbindung der Proteste, gehörten zur Tagesordnung.
Was uns aber auch nicht wirklich verwundern braucht: Ob NSU, Hannibal-Netzwerk, Nordkreuz, NSU 2.0, Ku-Klux-Klan und wie sie alle heißen: Das bewusste Gewährenlassen, Verstrickungen und Überschneidungen von Polizei und staatlichen Behörden mit rechten Strukturen zeigen uns nur einmal mehr, dass wir im Kampf gegen Rechts von ihnen nichts erwarten brauchen.
Auch das aktuelle Beispiel zweier Nazis aus Neukölln, die unter den Augen der Berliner Ermittlungsbehörden Brandanschläge gegen Linke verübten, Wohnorte ausspähten und eine Feindesliste führten, wohlgemerkt während sie überwacht wurden, lässt den Schluss zu, dass diese Taten nicht verhindert werden sollen.
Wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten, wir als Gesellschaft haben eine Verantwortung.
Die Verantwortung als Menschen, die aus Geschichte lernen, dafür zu sorgen, dass sie sich nicht wiederholt.
Dieser Verantwortung werden wir trotz aller Kriminalisierung auch in Zukunft nachkommen!