Berufungsverhandlungen in den „Krawallnacht“-Verfahren

Die Auseinandersetzung rund um die „Krawallnacht“ hat einen durchgehend politischen Charakter. Die Riots im ersten Coronasommer 2020 – nicht nur in Stuttgart, auch in Frankfurt, München oder Augsburg – waren ein Ausdruck der Wut auf die herrschende soziale Ungerechtigkeit. Auslöser in Stuttgart war eine rassistische Kontrolle der Polizei, die das Fass zum Überlaufen brachte.
Dahinter liegt aber mehr: 2020 hat sich die Auseinandersetzung für marginalisierte junge Menschen um den öffentlichen Raum zugespitzt, da wegen des Lockdowns kaum noch andere Möglichkeiten sozialer Beteiligung existierten. Viele kostenlose oder leistbare Angebote waren geschlossen, die überteuerten Läden waren offen, die sich aber eben viele nicht leisten können.


Die Präsenz migrantischer, prekarisierter Jugendlicher im öffentlichen Raum wie am Eckensee oder anderen Teilen der Innenstadt ist von den Behörden nicht gewollt, da es dem sauberen und sicheren Stadtbild schadete. Ein Aufenthalt ohne Kontrollen, Bußgelder und Schikane war in der Coronazeit nicht möglich. Insbesondere migrantisch gelesene Personen bekamen dies durch rassistische Kontrollen zu spüren.

Die Corona Krise befeuert die sozialen Widersprüche. Wer reich ist, konnte die Krise in weiträumigen Wohnungen und Gärten verbringen. Alle anderen durften sich nicht einmal am Ecksensee aufhalten.
Aus diesem gemeinsamen Erleben von Kontrollen, Schikanen und Erniedrigung entstanden spontan Solidarität und gemeinsames Handeln. In der „Krawallnacht“, in der hunderte Menschen über mehrere Stunden die Polizei zurückdrängten und durch die eigentlich kontrollierte Innenstadt zogen, durchbrachen die Jugendlichen das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Staatsmacht.

Die Jugendlichen, die ein Teil der Arbeiter:innenklasse sind, haben – wenn auch nur kurz – die Möglichkeit des gemeinsamen Handelns für sich entdeckt. Auch wenn es kein bewusster antikapitalistischer Akt war- war es ein Aufbegehren gegen das System.
Dieses Potenzial wurde von den Repressionsbehörden unterschätzt. Die Reaktion fiel umso härter aus: Mit Öffentlichkeitsarbeit, unzähligen Festnahmen und demütigenden Vorführungen vor Gericht wurden an Einzelnen ein Exempel statuiert. In den Medien wurde das Ganze als unpolitischer Krawall delegitimiert, zur Denunziation aufgerufen und gehetzt.

Ein besonderer Fokus der Strafverfolgung lag von Anfang an auf den Menschen, die organisiert in das Geschehen eingegriffen haben sollen bzw. zumindest theoretisch hierzu in der Lage wären: Die revolutionäre Linke.
Deshalb führten die Cops im März 2022 Hausdurchsuchungen in Stuttgart durch. Es folgten drei Gerichtsverfahren, die mit dünnen Indizien geführt wurden. Erwartungsgemäß für das Stuttgarter Amtsgericht kein Hindernis für eine Verurteilung zu mehrjährigen Knaststrafen von drei Genoss:innen: erstinstanzlich zu 36 und 45 und einmal 20 Monate auf Bewährung.
Der Berufungstermin von einem Genosse hätte bereits im Februar diesen Jahres stattfinden sollen. Er hat sich entschieden, nicht in den Knast zu gehen und sich selbstbestimmt seiner Haftstrafe zu widersetzen. In einem Statement bezieht er dazu Stellung. Die Prozesse rund um die Krawallnacht stellen an sich bereits eine Ausweitung des Drucks gegen linke und revolutionäre Organisierung dar. Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Repressionsmomente in den vergangenen Monaten.
Der Zusammenhang zwischen den Kämpfen und der staatlichen Repression ist nur logisch und ist daher kein Grund aufzugeben. Die Auseinandersetzungen werden nicht weniger. Soziale Widersprüche werden nur noch stärker aufbrechen und der Staat wird mit Repression darauf antworten.

Genau diese sozialen Widersprüche sind es, mit und in denen eine revolutionäre Linke agieren und den revolutionären Aufbauprozess vorantreiben muss, weil dies die Krise des Systems vertiefen und zu einer Veränderung führen kann. Dass jedes Aufbegehren gegen die Herrschenden eine Antwort des Staates heraufbeschwört, ist wenig überraschend. Die andere Seite dieser Medaille ist das Potenzial dieser Kämpfe. Nutzen wir dieses und halten daran fest in unseren Kämpfen. Nur wenn uns das gelingt, kann die Perspektive einer vom Kapitalismus befreiten Gesellschaft erreicht werden.

Kommt zu den Berufungsverhandlungen: Dienstag, 12.09 und 19.09, Mittwoch 27.09 und Donnerstag 28.09 – jeweils vor dem Landgericht Stuttgart

 

 

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