Sind da noch Zeugen, die uns weiterbringen?

ohnesolidaritaetHeute, am 20. Januar 2015 saß ein Stuttgarter Antifaschist auf der Anklagebank des Jugendschöffengerichts Heilbronn wegen verschiedenster angeblicher Straftaten. Von Stuttgart bis Karlsruhe über Göppingen, fast überall wo in den letzten zwei Jahren antifaschistische oder gesamtgesellschaftlich linke Aktionen stattfanden, soll dieser Antifaschist vermeintlich straffällig geworden sein. Die Kreativität der Kriminalisierungsstufen der Justizbehörden reichte von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz über Widerstandsdelikte gegen Polizisten bishin zu einer Reihe von versuchten (gefährlichen) und vorsätzlichen Körperverletzungen. Polizisten oder auch Anhänger der „Alternative für Deutschland“ (AfD) sollten dabei die „Opfer“ sein. Neben den Vorwürfen wurden dem Antifaschisten sogenannte „schädliche Neigungen“ unterstellt. Klar war im Vorfeld ohne Zweifel, hier soll ein Antifaschist besonders eindrücklich eingeschüchtert werden.

Daher riefen unter anderem das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart&Region (AABS) gemeinsam mit anderen Gruppen, wie z. B. der Roten Hilfe zu einer Kundgebung vor dem Jugendschöffengericht und einer Prozessbeobachtung auf. An beidem nahmen etwa 25-30 linke AktivistInnen teil und zeigten dem von Repression betroffenem Genossen damit, dass Solidarität im Ernstfall nicht nur eine Floskel sondern Realität ist.

 

Im Gerichtssaal wurde die Situation neben den Vorwürfen durch die Aussagen von Richterin, Staatsanwalt und Zeugen immer widersprüchlicher. Die rund 20 geladenen Zeugen, waren entweder nur „Schreibtischtäter“ – wie die Richterin den Staatschutzbeamten Schindler bezeichnete, hatten „es nur noch grob im Kopf“ und auf den teils zusammengeschnittenen Videoaufnahmen war der Angeklagte meist nicht zu erkennen. Sie waren jedoch alle stets bemüht den Beschudligten als „Verbrecher“ darzustellen, schließlich kannten einige von ihnen ihn „nach einer Weile persönlich“. Einer der Zeugen meinte es besonders ernst mit seinen Aussagen. Bei einer AfD- Wahlkampfveranstaltung in Stuttgart wurde einem der AfD-Anhänger angeblich so heftig ins Ohr gepfiffen, dass er nun immernoch an Tinitus leide, dies wurde in seinem ärztlichen Attest jedoch nicht bestätigt. Zur Anzeige bringen wollte er es zunächst nicht, doch einer der Polizeibeamten drängte ihn am selben Tage noch, dies zu tun. Daraufhin war er anscheinend höchstmotiviert Geschichten zu erfinden und sein „Leid“ zu dramatisieren, doch selbst die Richterin erkannte schnell, dass es den Geschichten an Wahrheitsgehalt fehlte und so wurden diese Vorwürfe eingestellt.

 

Das einzig gefestigte, was während des Prozesses zu hören war, war die Prozesserklärung des Antifaschisten, die auf die Absurdheit der Vorfälle einging. Er machte damit deutlich, dass er trotz der Vielfalt der Vorwürfe zu seinem Kampf für eine befreite Gesellschaft steht, und so wurden nur geringe Teile der Anklage über den Anwalt eingeräumt. Zur Sache äußerte er sich selbstverständlich nicht.

 

Insgesamt wurden dem Genossen 80 Arbeitsstunden und die Teilnahme an einem Sozialtrainingskurs auferlegt. Die Richterin wollte an diesem Punkt die Notwendigkeit von solchen Prozessen mittels einer ausführlichen Predigt wiederherstellen, doch gelungen ist ihr dies nicht. Eines ihrer Hauptanliegen waren dabei die sogenannten „staatlichen und rechtlichen Grenzen bei Protest“.

 

Doch weder die Prozesse noch die angeblichen Grenzen sind notwendig, das sehen wir immer wieder, wenn wir gemeinsam auf der Straße stehen. Wir lassen uns nicht einschüchtern und nicht spalten. Antifaschistischer Widerstand und linke fortschrittliche Kämpfe sind nicht kriminell, sondern legitim! Wer im Zuge dessen Repression seitens des Staatsapparats gerade durch solche Prozesse zu spüren bekommt, dem wird eine breite Solidarität engegengebracht.

 

Gegen jede Repression – für die soziale Revolution!

 

 

Prozesserklärung des angeklagten Genossen:

„Ich sitze heute hier vor dem Jugendschöffengericht Heilbronn wegen verschiedenster angeblicher Straftaten die bei mehreren linken Aktionen vorgefalllen sein sollen. Genau genommen geht es um 4 Antifaschistische Aktionen und einer gesamtgesellschaftlichen Demonstration.

Vorgeworfen werden mir von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz über Widerstandsdelikten gegen Polizisten bis hin zu einer Reihe von versuchten gefährlichen und vorsätzlichen Körperverletzungen. Doch was ist wirklich passiert an den besagten Tagen und wer sind die Akteure die versuchen, ihr rechtes oder faschistisches Gedankengut auf die Straße tragen?

 

Fangen wir an bei der Rechtspopulistischen und sozialdarwinistischen Partei Alternative für Deutschland, kurz AfD, die versucht mittels reaktionärer Hetze gesellschaftliche Missstände weiter auszubauen. Bei ihrem Vorsitzenden, Bernd Lucke, dessen Veranstaltung am 20.5.2014 in Stuttgart unter massivstem Polizeiaufgebot stattfand, handelt es sich um einen geistigen Brandstifter, der durch seine Reden versucht, sein reaktionäres Gedankengut in der Bevölkerung zu verbreiten. Für den 20. Mai hatte das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS) gemeinsam mit anderen antifaschistischen Kräften zu Protesten gegen die rechte Veranstaltung aufgerufen. Etwa 100 Menschen folgten dem Aufruf und störten die zweistündige Kundgebung der Rechten durchgängig lautstark mit Trillerpfeifen, Fahnen, Schildern und Transparenten. Mehrmals kam es zu Handgreiflichkeiten von älteren AfD-Fans an antifaschistischen AktivistInnen. Ein massives Polizeiaufgebot, mehrere Hamburger Gitter und zahlreiche Vorkontrollen sollten die rechtspopulistische Kundgebung so störungsfrei wie möglich machen.

 

Ähnlich ist es auch bei dem nächsten Akteur Pro Deutschland, der sich auch teilweise personell mit der AfD überschneidet. Pro Deutschland versuchte am 6.9.2013 im Rahmen einer Kundgebungstour, eine Kundgebung in Stuttgart Heslach in der Nähe des Linken Zentrums Lilo Herrmann zu veranstalten. Die Dreistigkeit dieses Vorhabens ist deutlich erkennbar. Bei besagtem Zentrum handelt es sich nämlich um ein soziales und kollektiv geführtes Hausprojekt, in dem Rassismus, Faschismus, Sexismus und Homophobie keinen Platz haben. Eine Partei, die für eben jenes einsteht, hat weder in der Nähe eines solchen Zentrums, noch anderswo etwas zu suchen, geschweige denn eine Kundgebung abzuhalten. Nachdem sie die ersten 2 Kundgebungen in Bad Cannstatt und Botnang vor 2 Moscheen unter antifaschistischem Protest beendet hatten, zogen die Rechtspopulisten nach Heslach. Dort wurde eine weitere Kundgebung durch eine Menschenblockade erfolgreich verhindert. Die Maßnahmen der Polizei gegen diese Menschen waren sowohl brutal als auch unnötig, sowie rechtswidrig. Denn als die ersten AntifaschistInnen auf dem Weg zur Gefangenensammelstelle waren, endschied Richterin Hank, dass die Gefangennahme nicht rechtsmäßig sei und alle Gefangenen sofort freigelassen werden müssten.

 

Bei der nächsten Gruppierung handelt es sich um die faschistische Gruppe Autonome Nationalisten Göppigen, kurz ANGp, deren führende Köpfe auch gerade wegen Bildung einer krimminellen Vereinigung vor dem Landgericht Stuttgart angeklagt sind. Bei der ANGp handelt es sich um eine bewaffnete faschistische Gruppe, die alle angreift, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passen. Sie ist bundesweit mit anderen Nazi-Strukturen vernetzt. Diese Kontakte nutzt sie, um ihre Hetze in noch weitere Kreise zu verbreiten. Die Nazi-Organisation rief am 12.10.2013 in Göppingen zu einer scheinbar antikapitalistischen Demo auf. In Wirklichkeit wollten die Nazis den besagten Tag nutzen, um ihr faschistisches Gedankengut auf die Straße zu tragen. Die Demonstration wurde von einem massiven und gewaltsuchenden Polizeiaufgebot wortwörtlich durchgeprügelt. Trotz entschlossenem antifaschistischem Protest und Blockadeversuchen schafften es die aggressiven Polizei-Einheiten, insbesondere die Beweissicherungs- und Festnahme Einheiten, kurz BFE, einen Großteil der GegendemonstrantInnen einzukesseln. Während dieser Einkesselungen, die mehrere Stunden andauerten, wurden den AktivistInnen jegliches Recht auf ihre Grundbedürfnisse untersagt, so wurde ihnen sowohl der Toilettengang, als auch der Zugang zu Wasser verwehrt. Noch dazu kam es zu unzähligen Beleidigungen und Provokationen seitens der Polizei. Das Fazit dieses Tages: 150 verletze GegendemonstrantInnen, davon 10 schwer und 2 mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Dass eine Stadt wie Göppingen, die vorgibt vielfältig und tolerant zu sein und sich angeblich so konsequent gegen rechts stellt, eine Demonstration von Rechtsradikalen mit aller Gewalt durchprügeln lässt, ist aus antifaschistischer Sicht unbegreiflich.

 

Bei der faschistischen Partei NPD, geht es um eine bundesweite Partei die sich am historischen Vorbild der NSDAP orientiert. Ihre Vorsitzenden sind fast alle wegen Volksverhetzung vorbestraft. Als eine von Grund auf faschistische Partei hat sie insofern eine gefährliche Rolle, als sie in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag und in einigen Rathäusern sitzt. Die NPD rief am 25.5.2013 zu einer Demonstration unter dem Motto „Freiheit für alle Nationalisten – Freiheit für unsere Kameraden“ auf. Anders als in Göppingen versuchte die Stadt Karlsruhe die Nazidemo nicht mit größter Gewalt durchzuprügeln. Nur die Beamten der BAO und der BFE suchten immer wieder die Auseinandersetzung mit den AntifaschistInnen vor Ort. So wurden trotz erfolgreicher Blockade mehrere Demonstranten verletzt. Wie immer folgen auf erfolgreiche Blockaden rechter Aufmärsche Repression und unzählige Kriminalisierungsversuche. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz interessierte sich für die Blockadeaktion. So wurde, sowohl in meinem als auch in 4 weitere Fällen beantragt, das Urteil – gegebenenfalls mit Rechtskraftvermerk – an ihr Büro zu übersenden.

 

All dies erklärt die Notwendigkeit von entschlossener und kontinuierlicher antifaschistischer Arbeit. Überall, wo Nazis, Rechtspopulisten oder ihre Helfer auftreten, gilt es, entschlossenen Protest entgegen zu stellen. Dabei ist es egal welche Protestform letzendlich gewählt wird, wir lassen uns nicht in gute und schlechte AntifaschistInnen spalten, denn Antifaschistmus ist notwendig und legitim, nicht kriminell. Dass es dem Staat nicht passt, dass es Personen gibt, die konsequent rechte Hetze bekämpfen und sich dabei nicht von staatlich gezogenen Grenzen einschränken lassen, wird immer wieder dadurch ersichtlich, dass es zu Kriminalisierungsversuchen gegen AntifaschistInnen kommt. Die Repression zielt einerseits darauf ab, Personen die sich antifaschistisch organisieren, einzuschüchtern oder sie zu zermürben. Andererseits soll sie die Legitimität antifaschistischen Protestes in Frage stellen. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen, wir werden weiter entschlossen auf die Straße gehen um zu zeigen dass rechte und faschistische Hetzer in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

 

Auch bei der alljährigen 1. Mai Demonstration kommt es immer wieder zu Kriminalisierungsversuchen oder zu Angriffen der staatlichen Repressionsbehörden. Der 1. Mai ist der ArbeiterInnenkampftag, der Tag, an dem schon seit über 120 Jahren hunderttausende auf der ganzen Welt solidarisch und entschlossen auf die Straße gehen, um gegen die Herrschenden und deren System zu demonstrieren, um für eine Perspektive jenseits von Kapitalistischer Ausbeutung zu kämpfen. Dass es den Herrschenden nicht gefällt, wenn es um die Einheit der ArbeiterInnenklasse und den revolutionären Kampf gegen ihr System geht, zeigt sich immer wieder durch Provokationen und Angriffe seitens der Polizei. Auch im Jahr 2013, scheute die Polizei bei der Revolutionären 1. Mai Demo in Stuttgart nicht davor zurück, mit Gewalt gegen DemonstrationsteilnehmerInnen vorzugehen. Ohne jeglichen Grund griffen Polizisten, vermummt und in Kampfmontur, am Marienplatz die Demonstrierenden mit Schlagstöcken und Pfefferspray an. Dazu kam es zu mehreren Kopfplatzwunden und zu unzähligen, teilweise schweren Verletzungen, durch Pfefferspray und Schlagstöcke.

 

Dass hier heute ein Antifaschist vor Gericht steht liegt nicht daran, dass er gewaltätig oder brutal ist, es geht vielmehr darum, wieder einmal mit repressiven Maßnahmen gegen antifaschistischen Protest vorzugehen. Der Begriff „schädliche Neigungen“ mit der mich Staatsanwältin Metz veurteilen wollte, suggeriert einen angeborenen Hang zur Krimminalität und kommt aus der NS-Ideologie. Dass ein solcher „angeblicher Hang“ kriminologisch absoluter Schwachsinn ist und auch im hohen Maße stigmatisierend wirkt, will die Staatsanwältin irgendwie nicht verstehen. Sogar das Justizministerium Schleswig-Holstein und Saarland stellten fest, dass „solche Relikte der Braunen Diktatur im Gesetz nichts mehr verloren haben“. Dass ein Begriff mit einem solchen Ursprung überhaupt noch in unserer Gesellschaft verwendet werden darf, ist an sich schon ein Skandal. Doch nun soll jemand, der sich für eine Gesellschaft jenseits von Faschismus und rechter Hetze einsetzt mit einem juristischen Begriff aus der Nazi-Diktatur verurteilt werden. Die hier vorliegende Ironie ist nicht zu übersehen und kann nur als ein noch deutlicherer Einschüchterungsversuch der Justiz interpretiert werden.

 

Solange es den Kapitalismus gibt, wird es auch immer faschistische Gruppierungen und Parteien geben, die sich organisieren, und alle die nicht in ihr Menschenverachtendes Weltbild passen angreifen oder ermorden. Deshalb gilt es, für eine Gesellschaft zu kämpfen in der es keinen Platz für faschistische Terrorbanden und kapitalistische Ausbeutung gibt. Wir kämpfen für eine solche solidarische Gesellschaft. Daran wird auch dieses Urteil heute nichts ändern, aber auch rein gar nichts ändern. Denn es gibt keine wichtigere Aufgabe als für eine Gesellschaft zu kämpfen, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist.

 

Für den Kommunismus!“

 

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